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10. Juni 2024

Das große Potenzial der Umnutzung von Nichtwohngebäuden

DOPPELINTERVIEW MIT DAVID ROUVEN MÖCKER UND SVEN CARSTENSEN
David Rouven Möcker (PwC Deutschland).
Sven Carstensen (bulwiengesa).

David Rouven Möcker von PwC Deutschland und Sven Carstensen von bulwiengesa sind Teil der „Initiative I Wohnen. Stadt. Gewerbe.“, initiiert durch das bundesweite Netzwerk „Die Stadtretter“. Im Interview sprechen sie über das große Potenzial durch die Umnutzung oder Aufstockung von Nichtwohngebäuden.

HI HEUTE: Können Sie kurz schildern, wie die „Initiative I Wohnen. Stadt. Gewerbe.“ zustande gekommen ist?

David Rouven Möcker: Wir haben bei PwC zusammen mit der Technischen Hochschule Deggendorf eine Studie gemacht. Darin ging es allgemein um das Thema Wohnraumverdichtung. Darin haben wir verschiedene Überlegungen angestellt, wie sich Wohnraum durch die Aufstockungen von Wohngebäuden, aber eben auch durch die Aufstockung oder Umnutzung von Nichtwohngebäuden schaffen lässt.

HI HEUTE: Und das Potenzial war groß?

David Rouven Möcker: Ja. Das errechnete Potenzial hat mich selbst dann auch total überrascht. Es beträgt deutschlandweit ca. 1,3 Millionen zusätzliche Wohneinheiten durch Umnutzung und Aufstockung von Nichtwohngebäuden. 

HI HEUTE: Das große Potenzial war dann der Startschuss?

David Rouven Möcker: Dadurch war es sehr interessant, sich das Thema näher anzuschauen. Das haben wir dann auch gemacht. Wir haben uns mit den Stadtrettern und dem Architekturbüro Kinzo im Rahmen der letzten Expo Real ausgetauscht und überlegt, wie wir gemeinsam mehr Relevanz in das Thema bekommen. Daraus ist unsere Initiative dann erwachsen.

HI HEUTE: Neben den von Ihnen genannten Unternehmen haben sich noch weitere Partner in die Initiative eingebracht, die durchaus in Konkurrenz zueinanderstehen. Das trifft auch auf PwC und bulwiengesa zu …

Sven Carstensen: Wir haben gewiss Überschneidungen in unseren Leistungsprofilen, aber wir haben auch unterschiedliche Leistungsbausteine, daher ergänzen wir uns vielmehr, als dass wir Konkurrenten sind. Das ist auch der Sinn der ganzen Initiative, dass wir ein interdisziplinäres Tema sind, dass sich auf der einen Seite das Ziel gesetzt hat, unsere Städte wieder zu neuem Leben zu erwecken. Auf der anderen Seite wollen wir beim Thema Wohnraum auch ein weiteres gesellschaftliches Problem lösen.

HI HEUTE: Dazu ist es wichtig, das Problem von verschiedenen Seiten zu beleuchten.

Sven Carstensen: Genau. Wie bereits gesagt, beteiligen sich an der Initiative nicht nur PwC und bulwiengesa, sondern unter anderem auch Architekten und Experten aus der Sozialforschung. So lässt sich ein komplettes Leistungsspektrum anbieten, das ein Unternehmen allein nicht abbilden kann. Nur so kann es auch funktionieren. Wir sind alle gut in dem, was wir machen, aber links und rechts braucht es dann Ergänzungen. Das ist der Sinn der gesamten Initiative.

HI HEUTE: Kommen wir nochmal auf das große Potenzial von mehr als einer Million Wohnungen zurück. Schätzungen gehen davon aus, dass bis 2025 in Deutschland rund eine Million Wohnungen fehlen werden. Haben Sie mit Ihrem Ansatz die Lösung für die Probleme auf dem Wohnungsmarkt gefunden?

David Rouven Möcker: Um die Zahl von einer Million Wohnungen einmal einzuordnen: Dabei handelt es sich tatsächlich um die Aufstockung und Umnutzung von Nichtwohngebäuden. Das größte Potenzial stammt aus der Aufstockung. Wenn wir uns auf die Umnutzung konzentrieren, dann reden wir immerhin noch über 360.000 Einheiten deutschlandweit in allen Städten. Und um zur Frage zurückzukommen: Ich weiß nicht, ob es die Wohnungskrise lösen kann, aber ich bin davon überzeugt, dass es ein wichtiger Baustein ist. Und von daher ist es für mich auch ein so wichtiges Thema, weil ich glaube, dass da viel zu wenig passiert.

HI HEUTE: Warum passiert zu wenig?

David Rouven Möcker: Die Umnutzung ist sehr kompliziert, insbesondere langwierige Genehmigungsverfahren stehen solchen Projekten im Wege. Man kann nicht einfach morgen anfangen und umbauen, sondern braucht die entsprechenden Genehmigungen dafür.

HI HEUTE: Liegt das nicht auch daran, dass sich nicht jedes Gebäude für die Umnutzung eignet?

David Rouven Möcker: Klar gibt es Gebäude, die sich von der Struktur nicht für eine Umnutzung eignen. Aber ich denke auch, dass das ein ganz kleiner Anteil der Gebäude ist. Dort wo eine Umnutzung möglich ist, ist es sehr mühsam, das Recht zu schaffen, um es umsetzen zu dürfen. Daher müssen wir auch die Aufmerksamkeit von Politik und Verwaltung für das Thema bekommen, auch darum geht es uns.

HI HEUTE: Herr Carstensen, Sie wollen noch etwas ergänzen?

Sven Carstensen: Persönlich halte ich wenig von diesen riesigen Zahlen, die man in den Markt hinwirft. Aber sie zeigen das theoretische Potenzial. Aber am Ende steht die Frage, wie bekommst du das wirtschaftlich hin? Wir haben sehr oft Umnutzungsszenarien, die in den Kosten ähnlich dem Neubau sind. Nichtsdestotrotz, und das ist ja eben das, was wir dennoch sehen müssen, kann es sich in Lagen mit sehr guter Qualität rechnen. Und mit Blick auf die Nachhaltigkeit ist es sinnvoller, bestehende Gebäudesubstanz zu nutzen.

HI HEUTE: Wie spielen hier die Genehmigungsverfahren hinein?

Sven Carstensen: Es ist wichtig, den Entscheidungsträgern aufzuzeigen, dass, wenn ein Genehmigungsprozess zwei bis drei Jahre dauert, der Projektentwickler einfach extrem viel Geld ausgeben muss, beispielsweise für Zinsen und andere Kosten – ohne dass irgendetwas passiert. Deswegen muss das ganze Thema Umnutzung – gerade von innerstädtischen, ehemals gewerblich genutzten Gebäuden – viel höher auf die politische Agenda. Und was man nicht vergessen darf: Die Umnutzung trägt nicht zur Lösung des Wohnungsproblems bei, sondern auch zur Attraktivität der Innenstädte. Es ist uns eben auch ein Anliegen, dass die Städte nicht veröden, sondern diese Nutzungsänderung hinbekommen.

HI HEUTE: Entbürokratisierung ist gefühlt ein Dauerthema. Wie sehen Sie die aktuellen Bestrebungen aus Politik und Verwaltung?

David Rouven Möcker: Insgesamt sehen wir da leider zu wenig. Aber ich würde sagen, dass das Thema auf Bundesebene durchaus erkannt wurde. Gemeinsam mit Stefan Müller-Schleipen von den Stadtrettern haben Sven Carstensen und ich das bei einem Workshop des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen gesehen: Unter Beisein der Ministerin ging es dort ausschließlich um das Thema Umnutzung. Das Ministerium bot einer größeren Anzahl von Menschen ein Forum, um sich dazu auszutauschen. Und ich hatte den Eindruck, dass genau hingehört wurde, und welche Hürden beseitigt werden müssen.

HI HEUTE: Neben dem Bund bedarf es aber vor allem der Länder und Kommunen, um tatsächlich etwas zu verändern.

David Rouven Möcker: Das stimmt. Realisieren müssen es natürlich die Länder und Kommunen. Und da stellt sich die Frage, inwiefern das, was auf Bundesebene gewollt ist, tatsächlich umgesetzt wird.

HI HEUTE: Was wäre denn eine konkrete Forderung für diese Ebenen?

David Rouven Möcker: Wir haben zum Beispiel eine Koordinierungsstelle „Umnutzung“ in den kommunalen Bauämtern gefordert. Es geht darum, eine Position zu schaffen, die sich speziell um dieses Thema kümmert und es vorantreibt. Sowas würde extrem helfen, weil es am Ende natürlich an Personen und an Prozessen liegt, die jetzt für dieses Thema vielleicht noch gar nicht ausgestaltet sind.

Sven Carstensen: Das sehe ich auch so. Wenn wir es aus der Top-Down-Perspektive betrachten, dann stelle ich auch fest, dass von Oben einiges versucht wird, wie zum Beispiel die konkreten Initiativen der Bundesregierung (Anm. d. Red.: 2023 hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket vorgelegt, welches unter anderem den Umbau von leerstehender Gewerbeimmobilien zu neuen Wohnungen mit 480 Millionen Euro fördert).

HI HEUTE: Aber immer noch ist am Ende die kommunale Ebene gefragt.

Sven Carstensen: Ja. Die kommunalen Entscheidungsträger müssen es entsprechend umsetzen. Dabei halte ich es für sinnvoll, dass sie die ausgetretenen Pfade verlassen und neue Wege beschreiten.

HI HEUTE: Das hängt im konkreten Fall dann aber stark von der konkreten Person vor Ort ab?

Sven Carstensen: Ja, das hängt wirklich von der entscheidenden Person vor Ort ab und ist daher individuell von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich. Ich bin immer wieder erstaunt, welche großen Vorhaben sich verzögern und sogar scheitern, weil es bei ein oder zwei Personen hakt. Es braucht hier noch mehr Gestaltungs- und Veränderungswillen. Und ebenso wie David Möcker glaube ich, dass eine Koordinierungsstelle hier sehr sinnvoll wäre. Das wäre wirklich ein großer, großer Schritt nach vorne.

HI HEUTE: Gibt es bereits Leuchtturmprojekte mit Vorbildcharakter?

David Rouven Möcker: Es gibt durchaus Umnutzungsprojekte mit Leuchtturmcharakter, die stattgefunden haben – große und kleinere Projekte. Diese Projekte einmal genau zu dokumentieren und zu durchleuchten, ist eine Arbeit, die wir noch machen müssen. So kann man diese positiven Beispiele präsenter machen und bestimmt einigen Gegenargumenten den Wind aus den Segeln nehmen.

HI HEUTE: Auch bei Handelsimmobilien erleben wir unter anderem durch die Schließungen bei Galeria Karstadt Kaufhof einen Leerstand bei großen Objekten. Eigenen sich diese Assetklassen auch für eine Umnutzung zu Wohnungen?

David Rouven Möcker: Wir glauben an das Thema. Und wir glauben auch, dass Warenhäuser Potenzial für eine Umnutzung haben. Was hier aber angemerkt werden muss, ist, dass die Umnutzung hin zu Wohnen nur eingeschränkt möglich sein wird. Es kommt daher in Praxis sicherlich eher eine Mischnutzung in Frage.

Sven Carstensen: Um das einmal kurz einzuwerfen: Kaufhäuser sind ein gutes Beispiel für theoretische Potenziale, aber schwierige praktische Umsetzung.

HI HEUTE: Inwiefern?

Sven Carstensen: Diese Gebäude, ich sage mal Klötze, sind in der Nachnutzung durch die Belichtungsverhältnisse sehr schwierig – sowohl als Wohnungen wie auch als Büros. Das ist mit großen Umbaumaßnahmen verbunden. Sprich, dass man einen Innenhof reinsägt oder ähnliches. Das wäre theoretisch alles möglich, aber wirtschaftlich lässt es sich am Ende schwierig realisieren.

HI HEUTE: Wie lässt sich das Problem lösen?

Sven Carstensen: Wir müssen über die Grenzen der aktuellen Standards hinausdenken und uns eine Nutzung überlegen, die mitunter auch über die herkömmliche Nutzungsmischung hinausgeht. Das ist auch eine Aufgabe, die wir jetzt angehen müssen.

Zur Info

David Rouven Möcker leitet als Partner bei PwC Deutschland den Geschäftsbereich Real Estate Consulting & Transformation. Der Immobilienexperte hat mehr als 15 Jahre Berufserfahrung in der Immobilienberatungs- und Baubranche.

Seit 2009 ist Sven Carstensen Vorstand bei bulwiengesa. Bereits seit 1995 ist er in der Immobilienwirtschaft tätig. Bei der bulwiengesa AG arbeitet Sven Carstensen seit 2005. Bevor er bei bulwiengesa anfing, macht er unter anderem Station bei der Wohnungsgenossenschaft Schifffahrt-Hafen Rostock, Bavaria Objekt- und Baubetreuung und DIBAG Industriebau.

Die „Initiative I Wohnen. Stadt. Gewerbe.“ hat sich zum Ziel gesetzt, aus einer Hand eine umfassende planungsrechtliche und ökonomische Beratung anzubieten, wie eine Büro- oder Gewerbeimmobilie weiter- oder umgenutzt werden kann. Ferner wollen die Mitglieder mit ihrer Expertise die schnelle Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, die Belebung der Innenstädte und die Transformation zur nachhaltigen Stadt möglich machen. Zum Experten-Netzwerk „Wohnen. Stadt. Gewerbe.“ gehören neben PwC und bulwiengesa auch STRABAG Real Estate, KINZO, Architekten Venus, ATP architekten ingenieure, DERICHS u KONERTZ und BETHGE Rechtsanwaltsgesellschaft.

Initiiert wurde „Wohnen. Stadt. Gewerbe.“ von der Initiative „Die Stadtretter“, die nun auch das Schnittstellenmanagement übernimmt. Seit dem Start des bundesweiten Netzwerks „Die Stadtretter“ im Juni 2020 sind bereits mehr als 1300 Kommunen und Unterstützer Mitglied bei den „Stadtrettern“ geworden. Gemeinsames Ziel aller Beteiligten ist die Stärkung der Innenstädte und die Rettung des Einzelhandels auf kommunaler Ebene. Die Initiative „Die Stadtretter“ ist dabei eine zentrale Plattform für den Austausch von Kommunen, Immobilienwirtschaft, Unternehmen und Einzelhandel. Alle Beteiligten haben die Möglichkeit, voneinander und miteinander zu lernen. Für Kommunen und Wirtschaftsförderungen ist die Mitgliedschaft bei den Stadtrettern kostenlos. Mehr Informationen unter www.die-stadtretter.de

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