Cookie-Einstellungen

Diese Webseite verwendet Cookies, um die Bedienfreundlichkeit zu erhöhen.

Informationen zum Datenschutz

22. Februar 2024

Zupacken mit Augenmaß!

INTERVIEW MIT BARBARA POSSINKE, SENIOR PARTNERIN BEI RKW ARCHITEKTUR +
Barbara Possinke, Senior Partnerin bei RKW Architektur +
Foto: Sakotic-Sondermann (RKW)

Große Insolvenzen im Handelssegment sorgen für Schlagzeilen, die Baukosten verharren auf hohem Niveau, und dann ist da auch noch der Klimawandel, der auf Veränderungen drängt. Wie kann unter diesen Bedingungen eine Transformation unserer Innenstädte gelingen? Barbara Possinke, Senior Partnerin bei RKW Architektur +, plädiert im Interview mit HI HEUTE für entschlossenes – aber gut überlegtes – Handeln.

HI HEUTE: Frau Possinke, Sie sind mit dem Bau von Warenhäusern quasi großgeworden. Was sehen Sie vor Ihrem inneren Auge bei den Stichwörtern „Galeria“ oder „KaDeWe“? 

Barbara Possinke: Natürlich sehe ich weiterhin das Ende einer Ära, das nun tatsächlich auch das Premiumsegment erfasst zu haben scheint. Aber gleichzeitig sehe ich auch große Chancen. Das Wichtigste ist dabei, sehr differenziert vorzugehen und jeden Standort und jede Immobilie ganz präzise und ganz individuell zu betrachten – und das über Besucherströme und Frequentierungszahlen hinaus. Dann werden wir sehen, dass sich an manchen A-Lagen weiterhin Handel lohnen kann, an manchen vielleicht aber nicht. Hier dürfen wir keine Scheuklappen aufhaben.  

HI HEUTE: Was bedeutet das dann für die Innenstädte?

Barbara Possinke: Die Entwicklungen zur „15-Minuten-Stadt“ beobachten wir als Stadtplaner ja auch schon seit einiger Zeit. Das kann in den Großstädten zu einer Teil-Dezentralisierung führen, die von den klassischen „Eine-Innenstadt-Konzepten“ wegführt und einzelne Quartierskerne für die tägliche Versorgung stärkt. Aber das bedeutet im Umkehrschluss nicht das Ende des Stadtzentrums!

HI HEUTE: Warum nicht? 

Barbara Possinke: Ich denke, wir müssen es so sehen: weil wir dort nicht Angebot verlieren, sondern Platz gewinnen – Platz für Qualität. Wenn sich die Versorgung verlagert, können wir den Individualverkehr dort reduzieren. So können urbane Räume mit hoher Aufenthaltsqualität entstehen – mehr Grün und Freiraum, mehr Gastronomie, mehr Sehen und Gesehenwerden. Denn das sind gerade die Faktoren, die – neben hochwertigen Einkaufsmöglichkeiten – besonders gut abschneiden, wenn es in Umfragen um die Attraktivität von Innenstädten geht.

HI HEUTE: Damit böte sich auch die räumliche Gelegenheit, die Innenstädte besser gegen den Klimawandel zu wappnen … 

Barbara Possinke: Ganz richtig. Das ist das nächste große Problem, das sich heute schon auf den Hitzekarten vieler Städte in leuchtendem Rot bemerkbar macht und das dringend angegangen werden muss. Ich will hier nicht alarmistisch werden, aber es wird nicht mehr lange dauern, bis wir in den hochversiegelten, unverschatteten Betonlandschaften vieler Fußgängerzonen Sommertemperaturen von über 50° C werden messen können. Das würde die Stadtzentren unbewohnbar machen – und muss heute repariert und angepasst werden. Und mit „heute“ meine ich jetzt.  

HI HEUTE: Was sollten wir tun? 

Barbara Possinke: Wir müssen dringend Flächen in großem Maßstab entsiegeln. Wir müssen besser mit Wasser umgehen – und das übrigens auch im Sinne von Starkregenereignissen und der vielzitierten Schwammstadt –, und wir müssen das lokale Klima managen. Das bedeutet etwa, Windschneisen klug zu planen und für viel mehr und gut passende Begrünung zu sorgen. So bleibt auch in 20 oder 30 Jahren der Aufenthalt im Stadtzentrum im Hochsommer noch angenehm. 

HI HEUTE: Was aber wird denn nun aus den Warenhäusern? 

Barbara Possinke: Ich möchte wie gesagt nicht pauschalisieren. Aber einen Abriss halte ich in fast jedem Fall für kontraproduktiv – aus vielerlei Gründen. Zuerst würden wir als Planer mit starkem Handels-Know-how und gleichzeitig städtebaulicher Expertise immer erst untersuchen, ob eine weitere Handelsnutzung nicht doch möglich sein kann, vielleicht mit einem anderen Konzept oder einem Nutzungsmix. 

Oder eine andere Wiederbelebung: Gerade Warenhäuser mit ihren großen Spannweiten und den tragfähigen Decken lassen sich so vielfältig umnutzen. Es könnten dort Schulen, Labore oder Bibliotheken einziehen, oft braucht es nur ein paar Lichthöfe. Ich sehe aber natürlich auch die Frage der Wirtschaftlichkeit. Doch hier würde ich eine Aufgabe für die Kommunen sehen, den Gesetzgeber, die durch steuerliche Erleichterungen fördernd wirken können.

HI HEUTE: Oder doch abreißen und neu bauen?

Barbara Possinke: Nun, selbst wenn sich alles andere nicht als realistisch erweist, ist ein Abriss allein aus Ressourcensicht die schlechteste Alternative. Einerseits geht es dabei um die graue Energie, die im Gebäude gespeichert ist, andererseits aber auch um eine gesellschaftliche Nachhaltigkeit – wir müssen aus der Wachstumsspirale heraus, die uns immer mehr bauen lässt, obwohl so viel schon gebaut ist!

HI HEUTE: Bekommen wir denn trotzdem lebenswerte Innenstädte hin – mit attraktivem Handel?   

Barbara Possinke: Ich halte das nicht nur für erstrebenswert, sondern auch für möglich. In meiner Vision haben wir den Platz dafür, weil wir starre automobile Infrastrukturen mit ihren versiegelten Flächen drastisch reduzieren, zugunsten von deutlich verbessertem ÖPNV, mehr Radwegen und Hubs für E-Mobilität. Weil wir die Städte wieder atmen lassen, mit Grünflächen und einladender Gastronomie und einem guten, vielseitigen und auf die Menschen zugeschnittenen Handelsangebot. Ob das in Warenhäusern, ehemaligen Warenhäusern oder ganz anderen Formaten stattfindet, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Hauptsache, wir tun das mit Augenmaß.

HI HEUTE: Und wer sollte diese Transformation voranbringen?

Barbara Possinke: Das ist ein sehr wichtiger Punkt: Eine derart große Aufgabe kann niemand im Alleingang lösen. Wir brauchen dazu große Expertengruppen, die alle Layer einer Stadt mitdenken – von unter der Erde bis auf die Dächer. Oder auch: Von der U-Bahn und dem Leitungsbau über das Erdgeschossniveau mit allen Nutzungen und dem öffentlichen Raum bis in die obersten Stockwerke. Außerdem darf nicht nur vertikal gedacht werden, sondern auch horizontal über den Stadtkern hinaus, etwa indem wir Nebenlagen und Hauptlagen konsolidieren. Und ein letztes noch: Es braucht Zeit, es braucht pragmatische Lösungen ohne Scheuklappen, und es geht nur miteinander. Also, packen wir’s an!

ANZEIGE

Unsere Werbepartner

Impressum Datenschutz Cookie-Einstellungen Über uns

HANDELSIMMOBILIEN HEUTE (HIH) ist ein Nachrichten- und Serviceportal für die gesamte Handelsimmobilienbranche in Zusammenarbeit mit renommierten Verbänden und Instituten.