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18. April 2023

Warenhaus adé: 37 mal die gleiche Aufgabe

EXKLUSIVER GASTBEITRAG VON THORSTEN KEMP ZUM THEMA NACHNUTZUNG DER FREIWERDENDEN GALERIA-HÄUSER (MÖGLICHE SKALEN- UND SYNERGIEEFFEKTE)
Thorsten Kemp
Gebäude-Cluster Hortenkachel-Fassade: 10 der 37 Schließungshäuser verfügen über die gleiche Fassade.
Das Lübecker Karstadt-Haus ist eines der aktuell verbliebenen 37 GALERIA-Flächen ohne Betreiber.

Für 37 Großimmobilien in Deutschen Innenstädten heißt es Abschied nehmen vom Konzept „Warenhaus“. In elf Städten (13 Standorte) wird dies bereits innerhalb der verbleibenden Zwei-Monatsfrist Anfang Juli Realität. In nur neun Monaten und eine Weihnachtssaison Aufschub später folgen die restlichen 23 Städte mit den verbleibenden 24 GALERIA-Schließungen Anfang Februar 2024.

 

Alle Experten und Berater betonen das Offensichtliche: Jede Nachnutzung ist individuell abhängig von z.B. der wirtschaftlichen Situation des jeweiligen Eigentümers, der vorherrschenden Bausubstanz (Denkmalschutz, mögliche Belichtungsverhältnisse nach einem Umbau), der unterschiedlichen Attraktivität für Nachmieter aus dem Einzelhandel vor dem Hintergrund der  Wettbewerbs- und Nachfragestruktur sowie den Chancen anderer Nutzungen (z.B. aus dem Hospitality-, Gesundheits-, Freizeit-, Kultur- oder Residential-Bereich).

All business is local – aber Rad nicht immer neu erfinden

Dies ist auch ohne Zweifel immer eine richtige Erkenntnis: „All business is local“, sowieso! Aber ist es vor dem Hintergrund der Größe der Aufgabe und der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht angezeigt, auch nach Clustern und Mustern zu suchen? Schließlich handelt es sich nach aktuellem Stand um Leerstände von ca. 610.000 m² Verkaufsfläche also fast 2 Mal der Verkaufsflächenausstattung der gesamten Kölner Innenstadt.

Auch die vorherrschenden Rahmenbedingungen sind zumindest an vielen Standorten gleich oder ähnlich:

Wirtschaftliche Rahmenbedingungen für notwendige Investitionen

·      eher zurückhaltende Nachfrage im Retail Real Estate/aktuelle Häufung von Insolvenzen im Einzelhandel

·      leicht rückläufige Umsätze im stationären Einzelhandel zum Vorpandemie-Niveau

·      rückläufige Mieten im Handelsimmobilienbereich

·      Unsicherheit bzgl. der Nachfrage bei Büroimmobilien vor dem Hintergrund der „Home-Office-Entwicklung“

·      steigende Baukosten und höhere Anforderungen an Gebäudestandards (ESG)

·      gestiegene Baufinanzierungskosten/Zinsen

·      aktuell geringes Investitions- und Transaktionsvolumen bei Gewerbeimmobilien

Gleichzeitig besteht in Ballungsräumen eine hohe Nachfrage nach Wohnraum mit stetig steigenden Mietpreisen. Die Städte stehen vor der Herausforderung, trotz sinkender Einzelhandelsflächen, Ihre Innenstädte belebt und attraktiv zu halten.

Für die neuen Leerstandimmobilien ist folgende Aufgabenbeschreibung für die Eigentümer abzuleiten:

Aufgabenbeschreibung für die Eigentümer der Schließungshäuser:

·      eine 1:1 Nachbelegung der kompletten Warenhausflächen mit Einzelhandel geht am Markt vorbei. Nichtsdestotrotz gibt es durch die 1 A-Lage der betroffenen Warenhausstandorte im EG und maximal bis zum 1. OG Chancen der Nachvermietung an die z.Zt. noch expansiven Einzelhandelskonzepte

·      zielführend scheint die Aufteilung nach unterschiedlichen Nutzungsformen (Mixed Use)

·      aufgrund der Größe der zu belegenden Leerstandflächen scheint es angeraten, mögliche Wünsche der Kommunen zu berücksichtigen, die bei Nutzung von Teilflächen durch öffentliche Einrichtungen in zentralster Lage als Mietpartner bei der Nachbelegung gewonnen werden könnten.

·      die „Entledigung des Problems“ durch einen schnellen Verkauf der Immobilie im aktuellen Marktumfeld ist für die Eigentümer eher unwahrscheinlich und/oder unattraktiv.

·      ausschlaggebend für die Umnutzung sind neben der Nachfrage potenzieller Mietinteressenten die baulichen Gegebenheiten wie Denkmalschutz, mögliche Belichtungsverhältnisse durch Fassaden- und Dachdurchbrüche oder durch die Möglichkeit zur Schaffung eines Atriums

·      mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen scheint ein smarter Umbau einem Abriss und Neubau vorziehungswürdig.

·      es wird intensive Anstrengungen bei der Akquise neuer Mieter und bei den Vertragsverhandlungen kosten, um notwendige Umbaukosten mit den zukünftigen Erträgen ins Gleichgewicht zu bringen.

Für die Gebäudeeigentümer der in Kürze leerstehenden GALERIA-Flächen lohnt sich der Blick auf bereits erfolgreich neu positionierte Warenhausimmobilien.

Beispiele für umgesetzte Nachnutzungskonzepte von Warenhäusern

3 davon befinden sich im Ruhrgebiet, in Gelsenkirchen-Buer, in Herne und in Recklinghausen.

Eine private Investorengruppe hat in Gelsenkirchen-Buer das alte Karstadt-Warenhaus umstrukturiert. In Recklinghausen hat die AIP-Gruppe das MarktQuartier Recklinghausen und in Herne hat Landmarken gemeinsam mit HPP Architekten die Neuen Höfe Herne entwickelt. Alle Investoren haben die Großfläche Warenhaus erfolgreich in ein Mixed Use Konzept überführt. Konkret bedeutet dies für alle 3 Standorte: Im Erdgeschoß konnten weiterhin Einzelhandel- und Gastronomienutzungen realisiert werden. In den Obergeschossen befinden sich Büro- und Praxisräume, Wohnungen für Senioren, einmal ergänzt durch eine Kindertagesstätte, ein anderes Mal durch eine Stadtbibliothek. Einmal wurde ein Hotel in einem Neubau realisiert und einmal zog ein Fitnessstudio in ein Untergeschoß ein. Im Wesentlichen handelt es sich um „Blaupausen“ für die anstehenden Nachnutzungskonzepte der aktuellen Schließungswelle, die immer in Nuancen den spezifischen Standortgegebenheiten angepasst werden können.

Auch die bislang öffentlich gemachten Nachnutzungskonzepte der aktuellen Schließungswelle z.B. der Sahle-Gruppe für das GALERIA-Gebäude in Paderborn bestätigen die eingeschlagene Richtung: Im Untergeschoß Lebensmittel-Discount, im Erdgeschoß und 1. Obergeschoß ebenfalls Einzelhandel mit Schwerpunkt Bekleidung und in den darüber liegenden Geschossen Seniorenwohnungen.

Bei Städten mit hohen und steigenden Wohnungsmieten sowie Gebäuden mit guten Belichtungsmöglichkeiten kann sich auch die Wohnungsnutzung generell als wettbewerbsfähig erweisen. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die erforderlichen Belichtungsverhältnisse herstellen lassen. Beispielhaft sei hier die Durchschnittsmiete zum 2. Quartal 2022 in München angeführt, die bei durchschnittlich mit 18,50 €/m² liegt.Für opportunistische Investoren mit guten Finanzierungsmöglichkeiten kann es interessant sein, nach Gemeinsamkeiten bei den betroffenen Standorten und Immobilien zu suchen Solche Muster können wertvolle Hinweise auf mögliche Kostendegressions- und Skaleneffekte liefern, die ein Investment lohnenswert machen können.

Chancen auf Synergieeffekte durch Gebäude-Clusterung

Eine Schlüsselfunktion kommt der Analyse der baulichen Struktur der betroffenen Warenhausimmobilien zu. Hieraus lassen sich die notwendigen Umbaukosten einer Nachnutzung und damit deren Realisierbarkeit abschätzen. Die Unternehmensberatung PwC untersuchte die Entwicklung der Warenhausimmobilien der ersten Schließungswelle 2020 im Nachgang des ersten Insolvenzverfahrens von GALERIA. Demzufolge gab es für 70 % der Gebäude (32 von 40 Schließungsfilialen wurden in die Analyse einbezogen) bereits in Jahresfrist Nachnutzungskonzepte. Nur 20 % von diesen Planungen sahen wiederum eine 1:1 Nachvermietung vor. 75 % der Nachnutzungskonzepte planten mit umfangreichen baulichen Veränderungen. Dabei sollte es sich allerdings nur bei einem Drittel um einen kompletten Abriss und anschließenden Neubau handeln. Die Spielräume für Abriss und Neubau dürften vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzierungsunsicherheiten und Baukostensteigerungen tendenziell für die nun anstehenden Nutzungskonzepte weiter abgenommen haben.

Bei einem Umbau sehen sich potenzielle Investoren immer der Aufgabe gegenüber, die Großfläche aufzuteilen und andere Nutzungsarten in den Obergeschossen möglich zu machen. Eine Kernaufgabe besteht darin, die geschlossenen Fassaden zu durchbrechen und Tageslicht in die entsprechenden Räumlichkeiten zu lassen. Entscheidend für ein Gelingen ist die Kubatur der Gebäude, insbesondere die Tiefe der umzunutzenden Flächen und ob es bestehende oder einschneidbare Lichthöfe gibt und wie sich die Fassadenbeschaffenheit darstellt.

Unter den zur Schließung nun anstehenden 37 Standorten sind einer ersten oberflächlichen Analyse zufolge allerdings durchaus Gebäude zu finden, die ähnliche Gegebenheiten erkennen lassen. So verfügen z.B. allein 10 ehemalige Kaufhof-Warenhäuser über eine geschlossene oder nur wenig durchbrochene Fassade, die unter dem Stichwort „Hortenkacheln“ bekannt ist. Bei je 2 dieser Häuserpaare handelt es sich vom Entwurf her augenscheinlich sogar um einen Zwilling – offenbar dem gleichen Renovierungsrhythmus im Konzern geschuldet.

Fazit:

Die Entwicklung von Nachnutzungskonzepten, die Planung, der Umbau und die Vermarktung von der Baustruktur nach ähnlichen Gebäuden kann sich für Investoren als interessante Strategie erweisen. Sie setzt allerdings eine intensive Prüfung der bestehenden Bausubstanz voraus.

Natürlich wären bei ähnlicher Gebäudesubstanz und/oder ähnlichen Standorten, was Größe der Stadt, Zentralität, einzelhandelsrelevante Kaufkraft sowie touristisches Potenzial (z.B. Ausstattung mit Hotelbetten) angeht auch Kooperationen unterschiedlicher Eigentümer möglich. Die Zusammenarbeit könnte sich in diesem Fall auf die Erstellung der Nachnutzungskonzepte, auf die Vermarktung, die Vermietung, die Planungsleistungen und grundsätzlich auch auf die Bauvergabe erstrecken, um Kostendegressionseffekte zu realisieren oder zumindest durch offenen Informationsaustausch Synergieeffekte zu erzielen.

Sollten tatsächlich noch einige Städte selbst die entsprechenden Immobilien erwerben, wäre dies nicht nur unter dem Aspekt der Verwendung öffentlicher Mittel eine wünschenswerte Vorgehensweise. Zuletzt wurde in Braunschweig öffentlich über die Umnutzung „großflächiger Einzelhandelsflächen“ in Bildungseinrichtungen nachgedacht. In Lübeck ist man da bereits seit Anfang des Jahres mit dem Erwerb des Karstadt Sport Hauses einen Schritt weiter. Hier sind Bildungseinrichtungen konkreter Bestandteil des städtischen Nachnutzungskonzeptes.

Der Ideenwettbewerb ist bereits in vollem Gang. Die Nachahmung erfolgreicher Konzepte und die Übertragung auf andere Standorte sind erwünscht.

 

Thorsten Kemp: Der Autor ist seit 25 Jahren im Retail Real Estate-Bereich tätig. 17 Jahre eröffnete, erweiterte und leitete er große und für ihre Region z.T. marktbeherrschende Objekte wie z.B. die ALTMARKT-GALERIE in Dresden oder das SKYLINE PLAZA in Frankfurt. Anschließend folgten 8 Jahre überregionale Tätigkeit als Leiter Centermanagement. Der Autor hat sich als Eigentümervertreter privater und institutioneller Investoren ein tiefes und ganzheitliches Verständnis über die Steuerung von Kosten und Erträgen komplexer Einzelhandelsimmobilien in jedem Stadium des Lebenszyklus der Immobilie erworben. Während seiner operativen Tätigkeit hat er sich stets als Partner für die Städte verstanden und dies durch die Wahrnehmung einer ganzen Reihe von ehrenamtlichen Funktionen im City- und Stadtmarketing an den unterschiedlichen Standorten unter Beweis gestellt. Aktuell beschäftigt er sich als freiberuflicher Berater mit den Nachnutzungskonzepten von Wohn- und Geschäftshäusern, Warenhausimmobilien und Shopping Centern und ist im Interimsmanagement tätig. Diskussionsbeiträge, Fragen und Anregungen sind herzlich willkommen unter thorsten.kemp@stadtundstandort.de oder als Beitrag auf stadtundstandort.de.

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