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02. Juni 2017

Gutachten erteilt Plänen für „Pankower Tor“ eine Absage

DAS „PANKOWER TOR“ ENTSPRECHE DER AMERIKANISCHEN MALL DER 1960ER, SO DAS GUTACHTEN DES DARMSTÄDTER STADTPLANERS WOLFGANG CHRIST.
Alternativkonzept für das ehemalige Pankower Bahngelände mit einer Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Einkaufen. Visualisierung: Urban INDEX Institut/ DI-Gruppe
Mit klaren Worten erteilt jetzt ein neues städtebauliches Gutachten den Plänen zur Bebauung des früheren Rangierbahnhofs in Pankow eine Absage: „Das `Pankower Tor´genannte Shopping Center entspricht der amerikanischen Mall-Typologie der 1960er Jahre“, stellt Professor Wolfgang Christ, Inhaber des Darmstädter URBAN INDEX Instituts fest. Ebenfalls städtebaulich überholt seien die anschließenden Möbelhäuser, die „die ´Grüne Wiese-Typologie´ in Reinkultur an den Endpunkt der A114 implantieren“, so der renommierte Professor, der an der Bauhaus-Universität Weimar Entwerfen, Städtebau und Europäische Urbanistik lehrte. Die Pläne setzten auf eine „monofunktionale Großfläche“ mit knapp 3000 Pkw-Parkplätzen, abgeschottet vom Herzen Pankows und seiner historisch gewachsenen Struktur. „Der Kontext, also Pankow, spielt keine Rolle. Was zählt, ist allein die verkehrsstrategische Lage in der Metropolregion Berlin“, resümiert Prof. Christ nüchtern.

Die Dimensionen und Folgen der bisherigen Planung

Das Gutachten macht auch die in der Öffentlichkeit weithin unbekannten Dimensionen anschaulich: circa 420 mal 80 Meter sollen allein die Ausmaße des Shopping Centers sein, in das der Pankower Marktplatz gleich zwei Mal der Länge nach passen würde. Zum Vergleich: Das „Alexa“ am Alexanderplatz misst nur circa 265 mal 90 Meter. Beim „Pankower Tor“ sind vier Geschosse Parken mit 2400 Pkw-Plätzen sowie weitere 500 bei den Möbelhäusern vorgesehen, erreichbar über eine eigene 1,4 Kilometer lange Zufahrtstraße. Das bedeutet bis zu 24.000 Personen täglich, die mit dem Auto an- und abreisen.

 

Struktur und Form des Shopping Centers mit zweieinhalb Geschossen Verkaufsfläche sind nach innen orientiert. An der Berliner Straße befindet sich der Haupteingang für Fußgänger, am gegenüberliegenden Ende der für PKW. Die Visualisierung des Centers zeigt mithin die Standardversion einer klimatisierten Mall, wie sie in den USA der 1960er Jahre gebaut wurde – ohne Bezug zur Umwelt.

Geringe Anziehungskraft der Wohnungen befürchtet

Das Fachmarktzentrum (Möbelhäuser) wird von drei großvolumigen Solitärbauten mit ebenerdigen Parkplatzflächen geprägt. Üblicherweise sind die Gebäude nahezu fensterlos. Der größte Bau hat eine Grundfläche von mehr als zwei Hektar und ist 20 Meter hoch. Das entspricht etwa dem sechsfachen Volumen der von den beiden parallel stehenden Bürozeilen gebildeten Zentrale der DB Netz AG an der Granitzstraße. „Die baulich-räumliche Struktur des Möbel-und Fachmarktzentrums, flankiert von neuem Wohnviertel, Kissingenviertel und Prenzlauer Allee und in direkter Nachbarschaft zum Pankow-Heinersdorfer S-Bahnhof, ist identisch mit peripheren Standorten auf der ‚Grünen Wiese’“, so die Analyse von Prof. Christ. Die Anziehungskraft der versprochenen Wohnungen wird indes äußerst gering sein, weil das geplante Viertel an drei Barrieren grenzt: im Westen an das Center, im Norden an die Centerzufahrtsstraße/ Bahntrasse und im Osten an die Möbelmärkte. Wegebezüge zur Nachbarschaft, erst recht attraktive, gibt es kaum; das neue Wohnviertel wäre vom gewachsenen Pankow weitgehend isoliert. Die Bewohner würden auf einem weitgehend geschlossenen Areal, eingekesselt von großflächigen Handelsbauten, leben. Der Gutachter räumt auch mit dem Irrglauben auf, in einer Großstadt wie Berlin seien Einzelhandelsangebote und mithin etwa Unterversorgungspotenziale auf Bezirksebene abgrenzbar. „In einem Umkreis von 10 mal 10 Kilometern befinden sich derzeit neun Shopping Center und 13 Fachmarktzentren. Sie alle sind mit ÖPNV oder Pkw in maximal zwanzig Minuten vom ‚Zentralen Versorgungsbereich’ Pankow erreichbar. Eröffnet die ‚East Side Mall’ 2018, kommen nochmals knapp 40.000 Quadratmeter Verkaufsflache und etwa 110 Geschäfte hinzu. Märkte und ´Mitten´ konkurrieren also auf engstem Raum miteinander“, erläutert Christ.

„Urbane Mitte Pankow“ – das Alternativkonzept

Aufgabe des Gutachters war es jedoch auch, ein Alternativkonzept zu erarbeiten, das sich u.a. an den politischen Zielsetzungen von Senat und Bezirk orientiert. Schließlich handelt es sich bei dem früheren Bahngelände um eine große Brachfläche – größer als die Pankower Mitte – in zentraler Lage, die grundsätzlich verfügbar ist. Im Gegensatz zu den bisherigen, sehr selektiven Untersuchungen sollte ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden, bei dem es um weit mehr als um zusätzliche Quadratmeter Verkaufsfläche für den Einzelhandel geht.

 

Für Gutachter Prof. Christ steht dabei im Vordergrund, dass in Zeiten des Klimawandels die Innenentwicklung Priorität haben muss: „Das dafür adäquate Stadtmodell ist das dichte, urban und sozial durchmischte Stadtquartier, parzelliert und feinmaschig eingebunden in das Raumgefüge der Stadt. Vor allem: erschlossen mit dem Umweltverbund. Die ‚Grüne-Wiese-Typologien’ des Pankower Tor-Projekts stehen dazu in krassem Widerspruch.“ Christ arbeitet in seinem Alternativkonzept heraus, dass Urbanität im Zeitalter der Digitalisierung ein starker Standortfaktor in der Konkurrenz um Einwohner, Unternehmen, Arbeitskräfte und Touristen ist.

Blaupause für die Stadtentwicklung in Pankow

„Eine ‚lebendige’ Mitte ist ein inspirierender Ort. Aufenthaltsqualität wirkt anziehend. Gerade was nicht digitalisierbar ist, gewinnt heute an Wertschätzung. Die ´Urbane Mitte´ sollte die Blaupause für die Stadtentwicklung in Pankow sein. Deren Wertmaßstab ist Qualität statt Quantität, Komplexität statt Kulisse und Authentizität statt Austauschbarkeit: Urbanität ist die neue Zentralität“, so der Gutachter. Und lebendig gehe es in Pankows Mitte rund um Berliner und Breite Straße gerade deshalb zu, weil dort Wohnen die prägende Nutzungsart ist, die durch kleinteiligen Einzelhandel, Gastronomie und bzw. Arztpraxen in einem Haus sinnvoll ergänzt wird. „Ein klarer Standortvorteil, wenn es darum geht, Einkaufen in einen Mix aus Etwas-Erleben, Sich-Treffen, Unterhaltung, Community Feeling, Sich-Inspirierenlassen zu verwandeln. Zusammen mit dem Trend, am besten mittendrin zu wohnen, entwickeln sich urbane Stadtquartiere zu analogen Ankern im digitalen (Waren-)Meer. Der Startvorteil Pankows ist der sehr hohe Wohnwert in Verbindung mit landschaftlicher Identität, selbst im Zentrum. Und all das nachhaltig ÖPNV- vernetzt“, erläutert Prof. Christ.

Was das für Bahnareal und Pankows Einzelhandel bedeutet

Berliner Senat und Bezirk verlangen die weitere Stabilisierung und Stärkung der Versorgungsfunktion des Pankower Zentrums, sollte das Bahnareal bebaut werden. Mit dem Leitbild der ‚Urbanen Mitte Pankow’ verfolgt auch das Gutachten dieses Ziel. Nach dem Vorbild gründerzeitlicher Stadtquartiere, die vielerorts in Pankow um einen erlebbaren Parkcharakter angereichert wurden, wäre es in kürzester Zeit möglich, eine Stadterweiterung nach innen in Gang zu setzen: „Anstelle einer handelsorientierten Stadtentwicklung, die zum ‚Pankower Tor’ führt, würde eine stadtorientierte Handelsentwicklung dem Handelsbestand der Mitte einen weiteren, stadtverträglich dimensionierten Baustein hinzufügen. Nicht mehr und nicht weniger. Ein urbanes Stadtquartier für ca.10.000 Einwohner und 5.000 Arbeitsplätze könnte dort – in ‚bester Lage’ und bereits weitgehend verkehrlich erschlossen – entstehen. Für die Menschen attraktiv und zugleich mit spürbarem Effekt auf den Wohnungsmangel. Mit Straßenbahnanschluss, zwei bis drei neuen Bahnquerungen und der fußläufigen Nähe zu Berliner und Breite Straße, würde der ‚zentrale Versorgungsbereich’ direkt angebunden – und eine vitale Pankower Mitte wäre garantiert“, so das Fazit von Prof. Christ. Und soweit die Versorgung mit Geschäften gestärkt werden muss, sind die zahlreichen Lücken auf Berliner und Breite Straße zu schließen. Das verbessert nicht nur das städtebauliche Erscheinungsbild, sondern ist für das Flanieren und Bummeln elementar, das erst Leben in den öffentlichen Raum trägt, öffentliche Plätze schafft und die Stadtmitte kompakter macht.

Die Renaissance der Stadt 

Prof. Christ betont abschließend, dass sich Pankowerinnen und Pankower offenbar nicht bewusst sind über „das Juwel, das vor ihnen liegt: Denn Urbanität ist das exklusive ´Produkt´ der Stadt. Ein urbanes Lebensgefühl kann weder ‚auf der grünen Wiese’ künstlich inszeniert, noch im ‚Netz’ digital reproduziert werden. Urbanität ist ein Wert, dessen Kurs stetig steigt. Die aktuelle Renaissance der Stadt ist ein unübersehbares Zeichen: Urbanität wird wieder mit Lebensqualität verbunden.“ Auftraggeber des Gutachtens ist die Deutsche Immobilien-Gruppe (DI-Gruppe) aus Düren (NRW), die in Berlin u.a. die Einkaufszentren „Rathaus Center Pankow“ und „Forum Köpenick“ entwickelt hat und betreibt. Wiederholt wies Helmut Jagdfeld, Geschäftsführer der DI-Gruppe, in den vergangenen Jahren auf die Gefahren der geplanten Entwicklung auf dem ehemaligen Bahnareal hin – und zwar nicht nur für den Einzelhandel: „Das Gutachten zeigt klar auf, dass Pankow am ´Pankower Tor´ eine bessere Entwicklung nehmen muss als bislang geplant. Heute Konzepte aus den 1960er Jahren zu verwirklichen, wäre eine Verschandelung des Bezirks auf Jahrzehnte. ´Alles auf Anfang!` muss daher die Devise der Stunde lauten, wofür es noch nicht zu spät ist“, fordert Helmut Jagdfeld. „Die Bürgerinnen und Bürger müssen endlich in einem öffentlichen und transparenten Verfahren entscheiden können, was aus ihrem Pankow wird. Wir wollen eine gesellschaftliche Debatte fernab von Investoreninteressen über die Zukunft Pankows entfachen, die es bislang leider nicht gegeben hat“, so der Unternehmer.
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