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19. August 2016

Ladenkonzept: Nix als Unikate

KEINE A-LAGE, KEIN FILIALNETZ, KEIN OMNICHANNEL. DAS AUSSTELLWERK 95 IN OLDENBURG ZEIGT, DASS UND WIE EINZELHANDEL HEUTE FUNKTIONIEREN KANN.
Im AusStellwerk 95 Oldenburg werden ausschließlich selbstgebastelte Produkte auf ungewöhnliche Weise präsentiert und verkauft. Foto: AusStellwerk95
In diesem eindrucksvollen Gebäude in Oldenburg ist das AusStellwerk95 beheimatet. Foto: AusStellwerk95
Originell: eine alter Leiter als Warenpräsentationsfläche. Foto: AusStellwerk95
Ein Hoch aufs Selbergemachte! Es schafft Originelles und Originale. Eben die findet man geballt im AusStellwerk 95. Zur Hauptsaison präsentieren über 130 Hobby- und Profibastler ihre Handwerksstücke, in ruhigen Zeiten rund 90. Dafür zahlen sie. Los geht es bei 25 Euro pro Monat für eine Orangenkiste, der teuerste Präsentierplatz ist ein Buffet, das für 100 Euro zu mieten ist.

 

Erstaunlicher als das kollektive Mietkonzept und der Sortimentswechsel im 1-6 Monatstakt ist die Lage des Ladens: Weder Berlins Prenzlauer Berg noch Hamburgs Schanzenviertel suchten sich die Inhaberinnen Nicola Dillmann-Wilers und Britta Wilde für ihr Konzept aus – sondern Donnerschwee am Stadtrand Oldenburgs. Dass die beiden wussten, was sie taten, wird auf Nachfrage klar: Die Donnerschweer Straße ist Hauptein- und Ausfahrt, Parkplätze gibt’s hinterm Haus und Laufkundschaft auch, dank Rossmann und zwei Supermärkten.

Ein Schandfleck verschwindet

Vier Jahre gibt es das AusStellwerk, vor knapp einem zog es ins frisch sanierte Gründerzeithaus um. Das verdoppelte die Verkaufsfläche auf 300 Quadratmeter und es beendete über 20 Jahre Leerstand, den der Wegzug des VfB-Oldenburg Clubheims hinterlassen hatte. Immer wiederhatten sich Käufer für das Laden- und Wohnbauareal interessiert. Doch Abschlüsse scheiterten an den Auflagen für das „stadtbildprägende Eckhaus“, heute AusStellwerk. Nur Bauunternehmer Schomaker aus Dörpen ließ sich nicht beirren: Er sanierte die Läden, baute sieben Wohnungen und holte Rossmann in den Neu- und das Eldorado des Selbermachens in den Altbau. Bis auf eine Wohnung ist alles verkauft, an Käufer und zu Preisen, die nur der Investor kennt.

Betreutes Entdecken

Außen leuchten Backstein-Intarsien auf weißem Putz, innen herrscht visuelle Völlerei im Shabby-Look. Doch statt vor der Vielfalt zu kapitulieren, zieht es  Ladenbesucher immer tiefer in die thematischen Insellandschaft aus Holzkisten, Vitrinen und Konsolen hinein. Es ist eine Entdeckungsreise: hier Urgroßmutters Kaffeekanne als Leuchtobjekt, da Garderobenhaken aus Tisch-Fußballmännchen oder Strick-Sneakers für Babys.

„Wir nehmen nicht jeden und alles“, stellt Britta Wilde klar, wie wichtig ein gutes Händchen bei der Selektion ist. Wonach sie auswählt? „Originell muss die Idee sein und handwerklich professionell umgesetzt.“ Das gilt für Marmelade, Socken und Filztaschen gleichermaßen. Selbstredend schwingt in ihren Worten mit, dass mehr Ausstellinteresse als Platz vorhanden ist. Im alten Laden war der Überhang noch krasser. Damals schränkte zusätzlich der Sortimentsschutz die Selektion ein. Heute lässt man durchdacht Überschneidungen zu, denn die Händlerinnen begriffen, dass mehr Auswahl den Kategorienumsatz steigert. Besonders deutlich zeigt sich das beim Schmuck, der nun fast ein Drittel der Ladenfläche einnimmt. Vom umgearbeiteten Silberbesteck über mandalaartige Perlenkunst bis hin zu phantasievoll Goldgeschmiedetem und stylischem Ledergeschmeide findet man alles, ohne dabei das Gefühl zu bekommen, das ewig Gleiche zu sehen.

Mehr als nur ein Regalplatz

Bleibt dennoch die Frage, woher die kontinuierliche Nachfrage der Ausstellerinnen rührt. Gewinn allein erklärt das Phänomen nicht. Zu schlank sind die Margen in der Eigenproduktion, zu überschaubar verkaufte Stückzahlen. Wer jedoch dem Ladentreiben Samstagvormittag zwei Stunden zuschaut, beginnt das Phänomen zu begreifen. Was Britta und Nicola ihren Lieferantinnen bieten, ist mehr als ein schmuckes Plätzchen im Regal: Frisch aus dem Urlaub zurück, werden vorbeigebrachte Kreationen einer Herstellerin bestaunt. Eine andere bekommt auf Nachfrage Verarbeitungstipps samt passender Materialalternative. Für eine Dritte werden die Sonderwünsche einer Kundin notiert und an sie weitergeleitet. Und wo der Umsatz klemmt, überlegt man gemeinsam, was sich verändern muss. Wie bei Elfriede*, Ausstellerin der ersten Stunde. Von selbst wäre die rüstige Rentnerin nie darauf gekommen, ihre umwerfend filigrane Spitze in Pulswärmern zu verarbeiten. Immer noch ist sie baff über den reißenden Absatz, den ihre Strickwerke im Winter finden. Nun sucht sie den Dialog, um  den Kassenschlager für die Sommertage zu finden. 

Mit Überzeugung gestalten

Und dann ist da noch Hans*. Seine größte Leidenschaft ist es, die Flohmärkte der Region nach alten Schätzchen abzuklappern. Heute bringt er ein altes Wagonschild und einen Holztisch mit Eisengestell vorbei. In Britta und Nicola findet er begeisterte Abnehmerinnen. Ihr Laden lebt vom Charme des Authentischen. Das spiegelt die Einrichtung wider. „In den Laden kommt nur, was wir auch selbst schön finden!“, umschreibt Nicola ihre Storedesign-Philosophie. Mit Blick auf in Würde gealterte Blechdosen, die ein Küchenbuffet zieren, erklärt sie: „Was uns gefällt, geben wir nicht mehr her!“ Antikmöbel, Beischmuck und Waren zu arrangieren, ist Brittas Aufgabe. Den Innenausbau inklusive Kaffeetheke übernahm ihr Mann. Bemerkenswert an dem Ergebnis ist, dass es locker mit Szenestores in London oder Barcelona mithält – und das in Donnerschwee.

 

In einem Punkt allerdings entziehen sich die Besitzerinnen jeglichem Handelstrend. „Unsere Webseite ist eine Dauerbaustelle“, räumt Britta freimütig ein. Der Relaunch sei in Arbeit, ein Onlineshop nicht geplant. Zu kleinteilig sei ihr Sortiment, zu schnell seien Miniauflagen und Unikate vergriffen. Selbst Ankündigungen verkneife man sich – Interessenten wolle man nicht enttäuschen. Dass die Internetaffinen dennoch vom AusStellwerk-Angebot erfahren, liegt vor allem an den Ausstellern. Fleißig posten sie ihrer Fangemeinde, wie lang welche ihrer Machwerke erhältlich sind.

Genau genommen ist das AusStellwerk ein Hobby. Aber eins, das von Anbeginn schwarze Zahlen schrieb! Britta arbeitet im Sozialpsychiatrischen Dienst, Nicola ist Physiotherapeutin. Vormittags hat sich daran nichts geändert. Dann führen Mitarbeiterinnen das Geschäft. Nachmittags und samstags sind die beiden Frauen vor Ort, wissend, dass sie die Seele ihres Ladens sind. So glücklich, wie die zwei in ihrem Reich der Kreativität wirken, erübrigt sich die Frage, ob sie den Schritt erneut wagen würden. Spannender ist das Geheimnis ihres Erfolgs: „Keine Angst vor der 70-Stunden-Woche. Und eine Sicht aufs Glas, die es halbvoll statt halbleer erscheinen lässt“, antwortet Nicola prompt. Britta ergänzt: „Es kommt auf das „Wie“ an, nicht auf die Rendite. Unser wichtigstes Kapital ist Wissen: Welche Sachen nimmt man rein, wie geht man mit den Menschen um. All das ist durchdacht und wird, dank Erfahrung, immer besser.“

* Name von der Redaktion geändert

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