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Er ist bekannt für Klartext, wenn es um die Lage des deutschen Einzelhandels geht. Professor Gerrit Heinemann (Hochschule Mönchengladbach) zählt zu den bekanntesten Retailexperten im deutschsprachigen Raum, mit einer über 20-jährigen Handelspraxis, u.a. im Management von Douglas und Kaufhof. Im Exklusiv-Interview mit HI HEUTE-Chefredakteur Thorsten Müller äußert er sich zu den vielfältigen Herausforderungen und Neuentwicklungen und verrät, wie er die weitere Entwicklung des stationären Marktes sieht.
HI HEUTE: Hinter dem stationären Handel liegen sehr herausfordernde Zeiten, aber vor ihm noch immer genauso. Oder ist das Schlimmste schon überstanden?
Prof. Gerrit Heinemann: Nein, das ist noch nicht überstanden. Wenn man das sich wieder verschlechternde Konsumklima betrachtet, ist es noch lange nicht vorbei, insbesondere vor dem Hintergrund der politischen Hängepartie und der zu erwartenden protektionistischen Maßnahmen.
HI HEUTE: Es wird immer davon geredet, dass es darauf ankomme, sich den Kundenbedürfnissen anzupassen. Doch die ändern sich schneller als es einem lieb ist. Worauf kommt es heutzutage wirklich an, um als Retailer längerfristig Erfolg zu haben?
Prof. Gerrit Heinemann: Wenn man über Kundenfreundlichkeit spricht, ist es entscheidend, dass man auch wirklich versteht, was die Kunden von heute möchten. Das ist, auf digitaler Basis, den Einkauf vorbereiten zu können, vielleicht auch im Self-Check-Out bezahlen zu können - ohne jemanden ansprechen zu müssen. Und vor allem ist es, aufgrund der sich verschlechternden Konsumsituation, wichtig, preiswert zu sein – das heißt nicht billig um jeden Preis, aber preiswert. Nach wie vor gilt die Devise: Das Sortiment ist Herz des Handels. Und wer ein schlechtes Sortiment vielleicht noch zu überhöhten Preisen besitzt, hat keine Zukunftschancen.
HI HEUTE: Bei Neuentwicklungen oder Revitalisierungen großer Multi-Use-Immobilien kommt es fast immer zu genehmigungs- oder verwaltungstechnischen Verzögerungen oder Komplikationen. Sehen Sie das als Dauerthema der nächsten Jahre oder wird die neue Regierung für relativ zeitnahe Verbesserungen sorgen?
Prof. Gerrit Heinemann: Multi-Use hört sich gut an und scheint auch im Trend zu liegen, aber Multi-Use bedeutet für die Vermieter nach wie vor eine deutliche Reduzierung der Mieten, und das dürfte nicht allen Vermietern schmecken. Weswegen die sich für das Multi-Use-Thema nicht allzu sehr öffnen dürften. Und zum Thema Politik möchte ich gegenfragen, warum es da Verbesserungen geben sollte. Die Politik redet seit Jahren davon, aber so gut wie nichts wird umgesetzt. Im Gegenteil: Die Situation verschlimmert sich. Zum Beispiel der dramatische Anstieg der Überbürokratisierung in Deutschland, vor allem in den letzten zwei Jahren unter der Ampelkoalition. Das dürfte sicherlich für uns in Deutschland ein fast schon unlösbares Problem sein.
HI HEUTE: Vielfach hakt es auch im Verhältnis zwischen Eigentümern bzw. Investoren und den Betreibern von Handelsimmobilien, vor allem hinsichtlich Modernisierungsmaßnahmen, die ordentlich ins Geld gehen. Dies kann ziemliche Auswirkungen auf das Stadtbild, speziell in den Einkaufsstraßen, haben, wenn die Attraktivität zunehmend schwindet. Müssen die Städte hier mehr Eigeninitiative ergreifen und können Sie das überhaupt?
Prof. Gerrit Heinemann: Ja und nein. Wenn ich mir die Bauruinen der Signa-Gruppe anschaue, dann ist es in einem laufenden Insolvenzverfahren nicht möglich, dass Städte eingreifen. Deswegen kann dieser Dämmerzustand Jahre dauern. Wenn ich allerdings normal betriebene Immobilien und Leerstände in Städten betrachte, dann kommt der Leerstand vielfach durch eine vorgeschriebene Handelsnutzung zu stande, die von Städten sofort geändert werden kann. Schaue ich mir dagegen funktionierende Innenstädte in den Niederlanden ang, dann gibt es da einen viel stärkeren Durchgriff von Städten mit Mietvorgaben bis hin zur Enteignung. Was, wie mir aus dem Bauministerium gesagt wurde, auch in Deutschland möglich ist, wovor sich allerdings die Kommunalpolitiker – aus welchen Gründen auch immer – scheuen.
HI HEUTE: Der Anforderungskatalog an Retailer und Manager von Retail-Immobilien hat sich stark verändert. Digitalisierung, KI-Nutzung, ESG und Dekarbonisierung bekommen größere Bedeutung. Das hat auch Konsequenzen, was die älteren „Hausaufgaben“ betrifft, die dann gerne vernachlässigt werden. Kundenservice und Entertainment-Angebote werden zwar als unverzichtbar genannt, doch längst nicht immer gut umgesetzt? Was sollte aus Ihrer Sicht Priorität haben?
Prof. Gerrit Heinemann: Was Sie gerade geschildert haben, betrifft ja wieder den wirklich schrecklichen Punkt der Überregulierung, der ja beim Datenschutz anfängt und bei einer Vielzahl von Verboten endet. Vor allem aber - und das ist der eigentliche Punkt – und das wird auch in einem kürzlich veröffentlichten Beitrag der Neuen Zürcher Zeitung dargestellt – bindet die Überregulierung mittlerweile einen großen Teil der Arbeitsressourcen – von über 20 Prozent ist da die Rede und die hält in der Tat Unternehmen davon ab, Kundenfreundlich zu sein und die Dinge zu tun, die getan werden müssen.
Auf der anderen Seite gibt es eine regelrechte Technologie-Explosion, welcher der Handel und auch die mobilen Betreiber ausgesetzt sind. Da haben wir es in vielen Fällen mit einer richtigen digitalen Überforderung zu tun, wo es im Grunde auch keinen Lösungsansatz gibt.
HI HEUTE: Insolvenzen und damit verbundener Leerstand belasten die Attraktivität des stationären Einzelhandels in den Innenstädten so stark wie selten. Hinzu kommt, dass viele ältere Inhaber von Einzelhandelsunternehmen große Schwierigkeiten haben, die Nachfolge zu regeln. Auch das kann zum letztlichen Aus des Ladens bzw. der Ladenkette führen. Welche Prognose geben Sie für die kommenden drei Jahre ab, wieviel Prozent der Läden auf der Strecke bzw. noch übrigbleiben werden?
Prof. Gerrit Heinemann: Ich geh mal etwas weiter als drei Jahre zurück, denn so genau lässt sich das nicht bestimmen. Der Online-Handel zieht ja wieder an und wächst deutlich stärker als der stationäre Handel. Deswegen gehe ich davon aus, dass sich meine These, dass alle Non-Food-Warengruppen, die ja auch die Innenstädte prägen, sich irgendwann bei 50 Prozent Online-Anteil einpendeln werden. Für die Innenstädte könnte das – wenn man das hochrechnet – nochmal ein Umsatzabschluss von der Fläche von bis zu 30 Prozent bedeuten und auch zu entsprechenden Leerständen führen.
HI HEUTE: Gibt es in diesem Zusammenhang sonst noch etwas, das Ihnen auf dem Herzen liegt?
Prof. Gerrit Heinemann: Der Föderalismus funktioniert theoretisch gut, wenn diejenigen Politiker, die Entscheidungen treffen, auch für die Finanzierung geradestehen. Das sogenannte Konnexitätsprinzip ist aber ausgehebelt, insbesondere vor dem Hintergrund der immer noch ungelösten Flüchtlingspolitik. Was dazu führt, dass Städte und Gemeinden das Versagen der EU und der bundespolitischen Ebene auslöffeln müssen und damit auch nicht das Geld zur Verfügung haben, welches die Innenstädte benötigen.
Eines ist klar: Wir haben kein Erkenntnis-, sondern – mangels fehlender finanzieller Ressourcen –ein Umsetzungsproblem; und das liegt an mangelnden finanziellen Ressourcen. Geld ist im Grunde der eigentliche Grund, warum Dinge nicht umgesetzt werden können, und das liegt im Aushebeln des Föderalismus durch das Aushebeln des Konnexitätsprinzips.
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