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29. Juli 2016

Fachmarktzentren: Frankreich, du hast es schöner!

FACHMARKTZENTREN ERLEBEN EIN TRADING-UP. NOCH DEUTLICHER ALS IN DEUTSCHLAND ZEIGT SICH DAS BEI UNSEREN FRANZÖSISCHEN NACHBARN, WO RANDSTÄNDIGE ORTE EINE EIGENE IDEE VON EINKAUF ENTWICKELN.
Das "Waves", Frankreichs erstes Open-Sky-Shoppingcenter. Foto: Waves
Das "Waves" mit seiner geschwungenen Mall. Foto: Waves
„Ein Bürgermeister müsste blöd sein, so ein Projekt abzulehnen!“, erklärt Gianni Ranaulo auf die Frage nach der Baugenehmigung. Vor ihm liegt sein animierter Entwurf. Es ist ein „Centre Commercial“ in Gennevilliers, nordwestlich von Paris. Keine vier Minuten dauert die Metamorphose des Unorts zur üppigen Parklandschaft: Schrabbelige Betonboxen, verdorrtes Gras und die lieblose Schnellstraßenüberbrückung weichen Seen, Bäumen und Hecken. Und mittendrin thront, was das Lifting finanziert: Ein Open-Sky-Shoppingcenter.

 

Gennevilliers ist nicht Ranaulosʼ einzige Planung für die Compagnie de Phalsbourg. Der Pariser Entwickler ist ein Vorreiter des „Kommerziellen Urbanismus“. Rund 23 Projekte dieser Art hat Phalsbourg in Frankreich bereits realisiert oder in der Pipeline. Viele von denen stamme aus Ranaulosʼ Feder. Die rasante Ausbreitung der Open-Sky-Center spricht für zweierlei: Erstens sind Frankreichs Kommunalverantwortliche des Wildwuchses überdrüssig, der ihre Stadteingänge verschandelt. Mancherorts sind sie es sogar, die Aufräumhilfe von Entwicklern erbitten. Zweitens zeigt es, dass urbane Aufenthaltsqualität nicht länger das Privileg von Kerngebieten ist. Planer beginnen, auf kooperative Formen der Stadtentwicklung zu setzen. „Egal wo, jedes Viertel sollte eine ganz eigene Qualität ausbilden, die es attraktiv macht“, beschreibt Ranaulo seine Idealstadt, die ebenso Vedeln für Studenten, Künstlern und Luxusliebhaber hat wie für Naherholer, die sich in ihren Retortenlandschaften vergnügen. Aber wieso erstarkt in Frankreich, was in deutschen Kommunen nahezu undenkbar erscheint?

Urbaner Kommerz statt Wildwuchs

„Wir haben nicht die Schere im Kopf, fürs Industriegebiet zu bauen. Entworfen wird auf weißem Papier, mit der Vision, einen Lifestyleort im Nirgendwo zu schaffen“, beschreibt Ranaulo. Vorbilder kennt der gebürtige Italiener zuhauf, denn er baut auch in New Urbanism-Ländern wie USA, China und in den Vereinigten Emiraten. Sein Anspruch an die ’Centre Commercial’ ist kein geringer – er will den generischen Code des Einkaufens verändern! Was ihn dazu inspirierte, waren Aufträge für Franco Dragone, einst Kreativchef des Circus de Soleil. Und das 1992 erschienene Buch „Nicht-Orte“. Das vom französischen Anthropologen Marc Augé geschriebene Werk erklärt monofunktionale Bauten wie Malls, Flughäfen oder Autobahnen zu Nicht-Orten. Ihnen fehle Identität und die Beziehung zum Umfeld, sie seien trostlos, anonym und austauschbar. Abhilfe will Augé nicht durch die klassische Stadtplanung und Architektur schaffen, sondern durch menschliche Skalierung: Was lässt Besucher im Hier und Jetzt ankommen? Was schafft Nähe? Auf derlei Fragen will der Architekt gebaute Antworten liefern. Die erste in Frankreich ist das Waves. 2014 in Metz eröffnet, ist es zugleich Phalsbourgs erstes Open-Sky-Shoppingcenter.

Gebaute Einkaufsträume

Skulptural schlängelt sich der Blub entlang der A31. Aus spiegelndem Stahl erbaut, fällt es jedem Vorbeifahrenden ins Auge. Doch auch für Flaneure funktioniert es. Denn auf dem 17 Hektar großen Areal herrscht unerwartete Intimität. Wie eine schützende Geste legt sich der herzförmig gestaltete Ladenreigen ums Gelände. 42.000 Verkaufsquadratmeter integriert die Fußgängerzone, in der die reflektierende Fassade ein magisches Etwas zaubert. Jenseits der Ladenstraße dominieren Baumalleen, Pflanzen und Seen mit gläsernen Pavillons für die Gastronomen. Was man vergebens sucht, sind fachmarkttypsiche Blechlawinen vorm Haus. Geparkt wird im Herzen des Shoppingareals. Wobei Parkplatz hier definitiv von Park kommt: Die Bepflanzung ist so üppig, dass mancher Gast nach Abstellplätzen fragt.

„Open Sky Center sind weder Mall noch Fachmarkt, weder City noch Freizeitpark, und doch haben sie von alledem etwas“, wagt Phalsbourgs Pressesprecher Jean-Sylvain Camus eine Definition. Ihr Einkaufssetting ist so künstlich wie eine Mall, aber mit der offenen Wegeführung wirkt es wie eine Fußgängerzone. Eingebettet ins Grün verlieren die fachmarktgroßen Läden ihre Wucht. Und obwohl der Konsum dominiert, fühlt man sich spätestens nachts, wenn die Fontänen zu Licht und Musik tanzen, so ergriffen wie beim Feuerwerk in Disneyworld: Der krönende Abschluss eines erlebnisreichen Tages!

„Menschen sollen davon träumen, shoppen zu gehen“, kommentiert Architekt Ranaulo den Sieg des Lebensstils über den Nicht-Ort. Vorbei sei die Spaltung von Einkaufen, Essen gehen, Natur erleben und spektakuläres, wie die Lichtshow genießen. Die strickt eine ganze Projektwelt rund um die Metzer Stadtsage des Drachen Graoully, den der heilige Clemens besiegte. Die Historie wird in einem bombastischen Licht, Musik und Fontänen-Spektakle inszeniert, dass im Dunkel rund um die Elf-Meter-Leinwand direkt bei der Brücke am Wasser stattfindet.

Neuer Hybridlook für alte Kisten

„Ja, aber...“, hört man die deutschen Stadtplaner zur Gegenwehr ansetzen: Deutschland sei dezentral organisiert, Frankreich auf Paris zentriert. Entsprechend seien hierzulande die Stadtstrukturen gewachsen und keinerlei Bedarf für Kunststädte vorhanden.

Ein nüchterneres Bild kommunaler Realität zeichnet der Architekt und Stadtplaner Professor Wolfgang Christ: „Wer Aufenthaltsqualität jenseits der City einfordert, wird erst einmal unter Generalverdacht gestellt, die Ortsmitte zu schädigen“, beschreibt der emeritierte Bauhausprofessor den wenig ausgeprägten kommunalen Willen zur Differenzierung. „Aber in Deutschland muss man endlich akzeptieren, dass in vielen Klein- und Mittelstädten Fachmarktkonzepte die Marktfunktion übernahmen, weil die gewachsene City Händlern keine ökonomisch auskömmlichen Flächen bieten kann. Was Bürger hier vorfinden, sind ’Fachmärkte in der Leere’ und ’Leere in der Mitte’! Kommune wie Handel sind in der Bringschuld für Atmosphäre in der neuen und für Leben in der alten Mitte zu sorgen“, taxiert er den Handlungsbedarf. Zwar begünstige der digitale Wandel ein Umdenken, aber die Furcht vom stadtvernichtenden Umland sitze tief!

Architekt Michael Maas ist da optimistischer. Sein Büro modernisierte den Weser- und Ruhrpark sowie aktuell den Havelpark und Kaufpark Eiche. Und die Nachfrage zieht an, auch wenn wir von französischen Verhältnissen weit entfernt sind. Hier dominiere die Modernisierung bestehender Standorte, ein Baurecht, das notorisch der Entwicklung hinterherhinke, und Stadtplaner, die den New Urbanism allzu bereitwillig als künstliche Retortenwelt verteufelten. Andererseits: Wo es Genehmigungslage und Platz zuließen, wandelten sich funktionale Verkaufsmaschinen zu sogenannten Hybridmalls: Halb Fachmarkt, halb Shoppingcenter. Das Design würde ansprechender, die Aufenthaltsqualität wachse und mit ihr die Gastronomie und wertigere Ladenkonzepte.

Vielfalt oder Wettbewerb schüren?

Ketzerisch betrachtet, kann man auch sagen: Der neue Hybridglanz in alten Fachmarkthütten lässt die Grenzen zum Shoppingcenter mehr und mehr verschwimmen. UKs führender Fachmarktentwickler, British Land, löste das Problem salomonisch: Er konzipiert seine Assets mittlerweile nach Kaufanlässen, nicht mehr nach Handelsformaten.

 

Weitergedacht ist Ähnlichkeit ein Verhängnis. Es schürt den Wettbewerb zwischen Handelsorten, statt für ihre kooperative Co-Existenz zu sorgen. Open-Sky-Shoppingcenter wagen den Vorstoß, mit frischem Konzept neue Verkaufsanlässe zu schaffen. Gelingt das, fragen Konsumenten nicht mehr „Kauf ich auf der Grünen Wiese oder in der Stadt?“, sondern „Wann shoppe ich unter freiem Himmel, wann unter geschlossenem?“ Aber klappt das? Die berühmte Abstimmung mit den Einkaufstüten wird es zeigen!
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