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06. Juni 2016

Die Mär vom verschwin­denden Discounter

TRADING-UP IST EIN MEDIENHYPE, MEINT HANDELSPROFESSOR UND EX-ALDI-MANAGER THOMAS ROEB – DISCOUNTER POSITIONIEREN SICH SEIT JAHRZEHNTEN IMMER WERTIGER.
Handelsprofessor und Ex-Aldi-Manager Thomas Roeb
Professor Roeb, Aldi-Süd kündigte letzten Monat eine Designoffensive an. Das nahm Rewe Chef Alain Caparros zum Anlass, Discountern ihr Ende vorauszusagen.

Thomas Roeb:
Das ist Unsinn! Nach wie vor erwirtschaften Aldi und Lidl mit Abstand die höchsten Umsätze pro Filiale und Quadratmeter im Lebensmittelhandel – davon können andere Discountmarken und erst recht die Supermärkte nur träumen! Natürlich könnten steigende Betriebskosten das Format gefährden, aber das passiert garantiert nicht durch den Ladenbau. Der macht, wenn überhaupt, 0,5 Prozent der Gesamtkosten aus. Doch von Presseberichten gehypt, entsteht aktuell der Eindruck einer Trading-Up Revolution. Das ist ein Irrtum. Den Trend zur Hochwertigkeit gibt es seit Jahrzehnten und da gab es markantere Einschnitte als aufgehübschte Läden.

 

Schickere Läden sind also kein Sinneswandel, sondern eher die Folge eines langjährigen Trading-Up-Prozesses? Thomas Roeb: In gewisser Weise schon. Discounter passen ihre Konzepte kontinuierlich den Wünschen der Konsumenten an. Einkaufsatmosphäre zu schaffen liegt derzeit im Trend. Aber ist das so bedeutsam? Für meine Begriffe war es gravierender, als Aldi vor 15 Jahren damit begann, leere Kartons kontinuierlich aus den Regalen zu räumen. Oder als sie in den 80ern die Kühlregale, in den 90er die Tiefkühlkost und vor vier Jahren die Backstationen einführten. Diese Neuerungen kosten Arbeitskraft. Das schlägt zu Buche, und nicht der holzverkleidete Obststand oder das gut ausgeleuchtete Weinregal! Okay, die nun eingeführten Kundentoiletten muss man sauber halten, die lass ich noch als Kostenfaktor gelten.

Als weiterer „Beweis“ für das nahende Ende der Billigheimer gelten kontinuierlich vergrößerte Sortimente und das Listen von Markenartikeln. Thomas Roeb: Ich weiß, mir sind die statistischen Marktdaten auch bekannt, die behaupten, dass die Produkte in 45 Jahren von 1200 auf 2240 gestiegen seien. Aber das sind bestenfalls Durchschnittwerte, die die Entwicklung verschleiern. DEN Trend gibt es nicht! Will man belastbare Aussagen treffen, muss man jeden Discounter einzeln betrachten. Softdiscounter wie Penny und damals auch Plus, boten vor knapp 20 Jahren zwischen 2500 und 3500 Produkten an, gewannen aber erst wieder Oberwasser, als sie die auf 2000 zusammenstrichen. Lidl verschlankte auf 1300 Artikel, hatte zwischenzeitlich aber 1600 im Regal. Und bei Netto ist der Sortimentsumfang seit 30 Jahren unverändert. Aldi-Süd listet im Schnitt 100 Produkte pro Jahr neu ein. Im Zeitraum von zehn Jahren wuchs ihr Sortiment von 500 auf nunmehr 1100 Artikel. Im Laden mag das mehr erscheinen. Denn etwa Joghurt wird im Mischkarton mit drei Sorten geliefert, gilt aber administrativ als ein Artikel.

Demnach verändern Discounter ihre Sortimente stetig, mit dem Ziel den Umfang und die Auswahl aktuellen Markterfordernisse anzupassen und nicht, um es per se zu erweitern ... Thomas Roeb: Davon ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht auszugehen. Jeder im Discountmarkt weiß, dass der Sortimentsumfang irgendwann an Effizienzgrenzen stößt. Als Netto damals Plus übernahm, versuchten sie statt der bislang 2000 Artikel 3500 anzubieten. Zwar stiegen die Umsätze, aber nur um zehn Prozent, nicht proportional. Soweit ich mich erinnere, gab es nur einmal einen sprunghaften Anstieg der Produkte. Das war  mit der Einführung der Scannerkassen. Zuvor scheiterten Erweiterungen am Gedächtnis der Kassierer - und am Platzmangel. Darum veränderte sich zeitgleich zur Sortimentsgröße auch Aldis Standortpolitik. Statt in enge 300-Quadratmeter-Innenstadtläden Waren deckenhoch zu stapeln, zog man auf großzügige 900-Quadratmeter-Flächen am Standrand. Und weil Randlagen billiger sind, Scannerkassen Administration sparen und das größere Warenangebot die Umsätze pro Verkaufsstelle massiv ansteigen ließ, erlebte das Format in dieser Zeit einen Produktivitätssprung.

War das nicht auch der Abschied vom Urgedanke des Discounts? Als die Aldi-Brüder in den 60ern starteten, propagierten sie ’die Kunst des Weglassens’: Prozesskosten minimieren, um Waren unschlagbar günstig zu verkaufen. Thomas Roeb: Die Philosophie bezog sich auf die deutlich kleineren Märkte und greift nicht bei den mittlerweile bis zu viermal so großen 1200 Quadratmeterläden. Richtig ist, dass mit den Prozessveränderungen die Kosten stiegen. Da jedoch die Umsätze überproportional anstiegen, machte sich das Investment in Service und Sortiment bezahlt. Entscheidend ist das Verhältnis von Umsatz und Kosten. Das will der Discounter optimieren. Daran hat sich seit 1962 nichts geändert. Seit Aldi-Süd Bilanzen veröffentlicht, sind keine Einbußen im Ertrag zu erkennen – der liegt konstant um die fünf Prozent vom Umsatz.

Einen exponentiellen Faktor gibt es also: Die Verkaufsfläche! Thomas Roeb: Ja, bei Aldi geht der Trend mittlerweile zu 1200 Quadratmeter und Filialen, die kleiner als 1000 Quadratmetern sind, werden absehbar schließen. Neu ist das allerdings nicht. Schon seit 15 Jahren investiert Aldi nur noch in verkehrsgünstig gelegene Standorte mit mindestens 5000 Quadratmeter Grundfläche für ihre freistehenden Läden mit Parkplatz. Allerdings haben jene heute Pult- und keine Flach- oder Satteldächer mehr. Und die energetischen Baustandards liegen heute höher als bei manchem Supermarkt. Großen Einfluss auf die Energiebilanz hat das zwar nicht, aber aufs Image.

Und wie interpretieren Sie Caparros Abgesang auf die Discounter? Stehen wir vor einer großen Flächenbereinigung? Thomas Roeb: Nein, die ist zumindest bei Aldi seit 30 Jahren ein stetiger Prozess. Zu kleine Standorte werden aufgegeben, veraltete abgerissen und neu gebaut. Für den Rewe-Chef gilt vermutlich, was für die meisten Topmanager gilt: Seine Aussagen sind vornehmlich von der eigenen Perspektive, also der von Penny, und von der oberflächlichen Wahrnehmung geprägt, dass Aldi immer mehr Markenartikel listet, ohne dass absehbar ist, wann sie damit aufhören ... Doch der Gedankenschluss, dass man es mit den Supermärkten aufnehmen wolle, ist absurd. Die führen das bis zu 20-Fache an Artikeln. Sie einzuholen, würde Jahrzehnte dauern und ergibt, wie oben skizziert, keinerlei betriebswirtschaftlichen Sinn.

Haben denn ruinöse Preiskriege Sinn, wie der kürzlich von Aldi-Süd mit Funny-Frischchips angezettelte? Thomas Roeb: Die Hintergründe kenne ich zufälligerweise gut. Den Preiskrieg begannen genau genommen die Supermärkte, nicht zuletzt Edeka. Zunächst verstimmt über Aldis Listung von Markenartikeln, setzte man Aktionspreise für diese Artikel so niedrig, dass Aldi teuer wirkte. Daraufhin machte Aldi bei der Einführung von Funny-Frisch den Aktionspreis der Mitbewerber gleich zum Dauerpreis. Nein, in Puncto Preis lernten die Discounter dazu. Den aktuellen Preiskrieg führen auch die Discounter nicht mit Begeisterung. Sie wissen, dass die Supermärkte ihren Preissenkungen folgen und unterm Strich alle dauerhaft Gewinne verlieren.

Was ist denn noch übrig vom günstigen Discountpreis? Thomas Roeb: Vor allem sein Ruf. Die meisten Produkte entziehen sich dem Preisvergleich, weil es sie nirgendwo anders gibt. Nach Produktkategorien verglichen, mag der Discounter zuweilen zehn Cent billiger sein. Andererseits rechnen Kunden gewöhnlich nicht in Einzelpreisen, sondern in Bons. Beim Supermarkt zahlen sie 100, bei Aldi 50 Euro für den Warenkorb. Dass der völlig andere Produkte enthält, reflektieren sie ebenso wenig wie den Umstand, dass Discounter sie erst gar nicht in Versuchung führen, zu teuren Produkten zu greifen ... So gesehen spart der Kunde beim Discounter auch heute noch.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass moderne Discounter mehr Atmosphäre, mehr Service und ein ständig um aktuelle Trends bemühtes Sortiment bieten, aber kaum mehr Preisvorteile. Nimmt der Verbraucher Unterschiede zum Supermarkt überhaupt noch wahr?

Thomas Roeb:
Ja, aber anders als Sie denken. Discounter ist ein Insiderbegriff, den Handelsexperten nutzen. In der Logik der meisten Kunden ist erstmal jeder Laden, der Lebensmittel verkauft, ein Supermarkt. Unterschiede in Sortiment und Umfang nimmt er wahr, unterschätzt sie aber gewaltig. Unseren Befragungen gefolgt, ist das gerade mal ein Zehntel des wirklichen Unterschieds. Dass ein Markt 1100 Artikel inklusive 100 Markenprodukte anbietet und der andere 10.000 Artikel, von denen 9000 Markenware sind, sehen nur Handelskenner und Betriebswirte so klar. Betriebswirtschaftlich ist der Unterschied gewaltig: Aldi managt 1100 Artikel von 200 Lieferanten, Rewe 20.000 Artikel von rund 4000. Das ist ein völlig anderer Kosten- und Ertragsapparat. Und der wird die beiden Formate immer voneinander trennen. Zur Person: Professor Dr. Dr. Thomas Roeb lehrt seit fast 20 Jahren Handelsbetriebslehre und Marketing an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Vor seiner akademischen Laufbahn war er Strategieberater bei Roland Berger und Bereichsleiter bei Aldi-Süd sowie Mitglied der Geschäftsleitung von Nielsen Deutschland.
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